Der Gartenzwerg ist blind
Ein Künstler beobachtet die Welt, in der er lebt, opfert sich im Namen der Kunst auf und konfrontiert seine Zeit. Sein kreativer Geist arbeitet mit erhöhter Intensität, wodurch er alle möglichen Erkenntnisse des Lebens in sich aufsaugt. Der Künstler befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Leben und Überleben und lichtet – getrieben von dem Verlangen nach kultureller Kontinuität – den Anker.
Bedeutende Künstler schaffen Kunst in einer neuen Wirklichkeit, die nie zuvor bestanden hat. Ihre Kunst steht am Anfang einer endlichen Bewegung und wird sich auch als neue Kultur legitimieren. Nur wenigen gelingt es, eine Beziehung zur Kunst zu entwickeln. Sie bilden für den Künstler eine neue zentrifugale Kraft Gleichgesinnter, die es als eine Notwendigkeit empfinden, Kunst als unentbehrliche Voraussetzung des Lebens zu betrachten. Der Künstler und die wenigen Gleichgesinnten stehen immer an einem neuen Anfang. Große Künstler haben zu allen Zeiten tiefe Einsichten zum Ausdruck gebracht, ihre Erkenntnisse und ihre literarische Größe sind Inhaltsstoffe einer neuen Kultur. Die Schriften des Genies sind immer ein Beweis des gesunden Verstandes, klarer Einsichten, eines starken Charakters und einer sublimen Art des Denkens. Sein Wort ist rein, legt aber meistens einen langen Weg zurück. Nicht alle seine Worte erreichen ihr Ziel. Die Kunst flirtet mit Worten und das Volk verschwört sich dagegen. Weise Worte sind wie menschliches Sperma. Nur wer sich ihnen völlig öffnet, lässt sich von ihnen penetrieren bis die Schreie der Begierde in die Tat umgesetzt werden und einen Neubeginn hervorrufen.
Das tägliche Leben wird von Gesetzen und Vorschriften bestimmt, die einen braven Menschen emotional in die Enge treiben. Der Mensch wird in seinen Möglichkeiten dermaßen eingeschränkt, dass er unter dem Motto „akzeptieren“ nicht mehr die Freiheit hat, seine Sehnsüchte auszuleben. Der wahre Genuss wurde bereits im Voraus beschnitten und die Masse erntet Lob und Bestätigung, weil sie doch nichts Außergewöhnliches zu berichten weiß. Aus diesem Grund ist die beste Kunst, die ein „unfreier Mensch“ hätte hervorbringen können, die Kunst, die er nicht geschaffen hat. Der Künstler entscheidet sich für sein eigenes autoritäres Universum, indem er sich die notwendige Freiheit nimmt, seine eigenen Gesetzmäßigkeiten und Regeln festzulegen. Er lebt sein Leben von Begierde erfüllt und fragt nicht nach Zustimmung. Ein Künstler will keine Tragödie, die wie ein konserviertes Produkt, das sein Haltbarkeitsdatum bereits lange überschritten hat, versucht, die Zeit zu überdauern. Er will mitreden und sozialen Einfluss ausüben. Seine Kunst verlangt nach Raum und Provokation. Die Masse protestiert zwar, wird aber gleichzeitig durch ihre gesellschaftliche Ächtung auch den neuen Gedanken der Kunst definieren. Niemand schließt das wirkliche Leben aus, weder das damalige, noch das gegenwärtige. Der wahre Künstler bietet der Gesellschaft nicht die Möglichkeit, seine Kraft einzuschränken und führt die Avantgarde zu einem Neubeginn.
Millionen von Kunstschaffenden tragen die Schuld an einem unbegrenzten Vergnügen am Handwerk. Ihre Werke werden von einer Industrie vereinnahmt, die die Kunst wie eine Hure verkauft. Eine grenzenlos konsumierende Masse befriedigt auf diese Weise ihr Bedürfnis nach Schönheit, die Mechanismen des Marktes beherrschen die Welt, der Kunstkritiker wird mundtot gemacht. Populismus entmenschlicht die Wahrnehmung der Kunst und die Gesellschaft entwickelt einen turmhohen Misthaufen des Geschmacks. „Kunst und Kommunikation“ stehen nicht länger im Rampenlicht und dem Intellekt verschlägt es die Sprache.
In den letzten Jahrzehnten verjagen wir die von uns entwickelten Erkenntnisse und die Welt der Kunst verliert ihre Universalität. Unsere Auffassung von Kunst ist uns abhanden gekommen, wir bewegen uns in eine völlig falsche Richtung und schätzen viele Dinge nur noch wegen ihres finanziellen Werts. Unsere Umgebung enthält eine Menge Informationen, wir scheinen aber nicht in der Lage zu sein, sie zu verarbeiten. Dasselbe gilt für die Beurteilung von Kunst. Die Kunstszene besteht heutzutage aus einem umfangreichen Netzwerk zahlloser Menschen, die kommerzielle Erklärungen austauschen. Große Zahlen üben einen starken Einfluss auf uns aus, deshalb erklären wir kaum noch, was wir tun. Wir müssen uns unserer Einschränkungen bewusst sein und uns weiterhin kritisch verhalten. Wir müssen wieder lernen und üben, Kunst zu betrachten, damit die Epidemie, die die künstlerische Entwicklung unserer Kultur einschränkt, keine Gelegenheit erhält, sich auszubreiten.
Der neue Verkaufstrieb gewinnt auf katastrophale Weise die Oberhand. Jede Form eines wertvollen Dialogs verschwindet. Der Galerist scheint überflüssig geworden zu sein und der Mäzen muss tatenlos zusehen, wie der Künstler entgleist. Auktionshäuser schießen wie Pilze aus dem Boden und gehen kein einziges Risiko ein. Gnadenloser Geschäftssinn entmutigt die Kunstwelt, die Kunst wird zur Ware für die breite Masse. Die neue Krämerseele bläst Wind in die Segel der eigenen überhöhten Preise und das Volk beziffert seine Geschmacksvarianten. Die Mühlen der zeitgenössischen Kunst generieren ein Massenangebot mit einem höchstmöglichen Verkaufspreis als Triebfeder. Die Kontinuität der wahren zeitlosen Kunst stagniert. deshalb führt die Krönung unserer Kultur zu einer Tragödie. Wir müssen uns dringend von allem distanzieren, das nichts weiter ist als Schein. Die Kunst wird verdorben und die intellektuelle Deutung der neuen Wirklichkeit verliert an Bedeutung. Die eigensinnige Mischpoke schachert wie ein mordender Faschist der ersten Stunde. Eine tiefere Einsicht zu Anfang des 21. Jahrhunderts ist dringend von Nöten.
„The Winner Takes All” lautet die Devise eines neuen Phänomens mit einem starken gesellschaftlichen Charakter. Es macht sich die globale Möglichkeit zunutze, uns über das Internet eine Kultur grenzenloser Dummheit aufzudrängen. Der zeitgenössische Mensch unterstreicht die Siegermentalität und betrachtet alles, was er eigenständig entscheiden könnte, als Risiko. Sein hektisches Leben veranlasst ihn dazu, der hirnlosen Masse zu folgen, die ihn umgibt: Er tut, was andere tun, und prompt gewinnt wieder die Siegermentalität. Auktionshäuser sind den sozialen Medien und dem Internet sehr dankbar. Sie bespielen ihr Publikum mit niedrigen und hohen Schätzungen. Unter dem Nenner „für gut befunden” und mit einem Schätzpreis bedacht wägt sich der Käufer in Sicherheit. Millionen Internetnutzer sehen die hohen Summen und halten das Oeuvre deshalb für interessant. Die Masse bewundert, was die mächtigen Kunsttempel für heilig erklären. Ein Künstlerstatement kommt einem disporportionalen Hit gleich. Der Gartenzwerg ist blind.
Die Identität der Kunst wird allmählich entwaffnet und verlangt nach mehr Selbstmanifestation. Ein opportunistisches Prinzip, das die Saiten neu stimmt und eine Richtung angibt, ist unbedingt erforderlich. Die zeitgenössische Kunst ist kein Objekt, das sich wie eine Büroklammer einfach an dem Dossier einer einzigen Macht festmachen lässt. Die Kunst ist ein Subjekt, das sich Gehör verschaffen muss wie ein notwendiger Schrei innerhalb der Gesellschaft. Große Kunst ist das Ergebnis einer Schöpfung, entstanden aus unerschütterlicher Freiheit. Die alten, morschen Regeln darüber, wie man Motive darzustellen und Kompositionen aufzubauen hatte, wurden begraben. Allerdings sind damals viele kreative Menschen durch das Sieb der Kunstgeschichte hindurchgerutscht. Es wuchs aber die Erkenntnis, dass Urteile und Vorurteile auf der Grundlage vorher bekannter Maßstäbe falsch sind. Ein großer Künstler hatte schon immer viel Mut und Durchsetzungsvermögen, er ist ein Musterbeispiel für alles, das nicht korrumpierbar ist. Seine Persönlichkeit befriedigt das künstlerische Gewissen. Wer kein Auge für diese neuen Erkenntnisse hatte, wurde Oper eines geistigen Kurzschlusses und konnte die zeitgenössische Kunst nicht mehr genießen.
Geschmack hat keinen künstlerischen Wert! Wer glaubt, der finanzielle Wert der Kunst könne durch eine Datenbank vorheriger auf Geschmacksurteilen beruhender Verkäufe willkürlich beziffert werden, begreift nicht, dass Kunst nicht gleich Wissenschaft ist. Dieser Handel unter Verlust des Intellekts betrügt sich selbst. Kunst bestempelt sich nie als fertiges konformes Objekt und ist deshalb der Wissenschaft fremd. Der Gartenzwerg ist blind!
Heute läuft die zeitgenössische Kunst Gefahr, nie mehr vom allerersten Augenblick – d.h. vom Beginn des Schaffens – an in ihrer innovativen Wirklichkeit unterstützt zu werden. Unsere Gesellschaft verweigert der Kunst das Recht auf Dialog, der es ihr ermöglicht, innerhalb eines genau umschriebenen Kontextes ihre historische Stellung einzunehmen. Das ausschließliche Interesse an hohen Beträgen führt zu einer barbarischen Kultur. Ein Gebot auf einer Auktion hat auf kultureller Ebene keinen Wert und ist nicht in der Lage, den historischen Wert eines Kunstwerks zu bestätigen oder zu entkräften. Der effektive Wert eines Kunstwerks lässt sich innerhalb seiner universalen Welt nicht aus einer wirtschaftlichen Perspektive heraus bestimmen. Der universale Wert der Kunst ist zeitlos. Die durch den Geschmack bestimmte Wahl eines Kunstwerks ist sowieso generationsgebunden, eine durch Geschmack geprägte Schönheit wird schnell verwelken. Wer zu Lebzeiten erfolgreich war und von seiner Kunst leben konnte, hat seine Stellung aus diesem Grund nur selten bei einer neuen Generation von Kunstfreunden behaupten können und wurde von ihr dann auch oft von der Bühne der Künste gefegt – sein Werk wurde ausgelöscht. Kunst hat nichts mit Geschmack zu tun, deshalb werden große Künstler auch nur selten während ihres Lebens entdeckt.
Ein intellektuelles und innovatives Oeuvre erfordert Untersuchungen, Zeit und Schutz. Ein Mäzen ist deshalb sehr wichtig. Er verteidigt die künstlerische Botschaft mit einer wohl durchdachten Auffassung und bekräftigt sie. Unbegreifliche Auktionsergebnisse lassen den zeitgenössischen Sammler an der Kunst zweifeln, die in seiner Zeit geschaffen wird. Hohe Verkaufszahlen werden auf unterschiedliche Weise hervorgerufen und unmotivierte Schreiberlinge füllen nur allzu gern ihre Zeitungen damit. Niedrige und hohe Schätzungen stören das Verlangen nach einer Begegnung mit der wahren Kunst. Die neue Kultur zwingt den Händler dazu, mit den Ohren zu sehen und der Kritiker verfällt in unnatürliches Schweigen. Die Wenigen mit Verständnis für etwas Neues werden von den neuen blinden Sammlern verdrängt, die ihren Kunstkauf in Zahlen ausdrücken. Die Kunstwelt verliert ihre Führungsposition und entwickelt eine seltsame neue Identität.
Von der frühsten Avantgarde bis heute ist und bleibt es eine absolute Notwendigkeit, den freien Geist in der Kunstwelt zu schützen. Wir brauchen dauerhaft eine kritische Haltung gegenüber der Kunst. Sich für Pseudokunst zu entscheiden bedeutet, keine Ahnung von Qualität zu haben und zu handeln wie ein unfreier Mensch, der das Werk eines freien Menschen verurteilt. Wer Kunst für eine Generation schafft, die noch geboren werden muss, schafft gleichzeitig die notwendige Toleranz für jede Form von Fortschritt. Dadurch wird der Künstler frei und stellt sich über das unerschütterliche Sammelsurium der sich selbst einschränkenden Schönheit seiner Gesellschaft. Wer ihn jedoch in seiner Handlungsfreiheit einschränkt, zerstört die Kultur. Die Entwicklung unseres Gehirns wird durch die Umgebung geprägt, in der wir aufwachsen, deshalb müssen wir noch kämpferischer denken. Die Gesellschaft, in der die Kunst geschaffen wird, erfordert, dass wir mehr Kritik miteinander teilen.
Wer sich nur nach vorgegebenen Zahlen richtet, ist nicht in der Lage, einen absoluten Wert zu bestimmen. Die Auktionshäuser schätzen den Wert eines Kunstwerts im Hinblick auf die zu erzielenden Geschäftsergebnisse. Der niedrige und der hohe Schätzwert sind bewusste subjektive Schätzungen durch selbsterklärte Experten. Kunst ist jedoch unberechenbar und wir müssen uns in dieser niederschmetternden Wirklichkeit behaupten. Der Sicherheitsdeterminismus unterwandert die Kunst, wer seinen Preis nach früheren vergleichbaren Verkäufen ausrichtet, der täuscht sich. Wir stehen heute vor einer neuen Wirklichkeit am Fuße eines Neubeginns.

Kunst = Kapital, schrieb Joseph Beuys.
Kunst ist die Widerspiegelung des erzielten Zuschlagspreises.
Die „Fuck Yourself Art” illustriert dieses Manifest. Es handelt sich dabei um Kunstwerke, die die Restfunktion der Kunst in unserer zeitgenössischen Gesellschaft analysieren. Die „Fuck Yourself Art” kritisiert auf eine avantgardistische Weise unseren reformierten Zeitgeist. Diese Bilder sind Ausdruck des Widerstands gegen eine aufgezwungene neue Ordnung, die zur Folge hat, dass sich der Sammler nur noch an einem Handel mit sich selbst profilierenden Zahlen beteiligt. Die „Fuck Yourself Art” antizipiert das Statement des Sammlers des 21. Jahrhunderts.
Wie lange wird das 21. Jahrhundert den Tanz um die Zahlen des im Voraus festgelegten Kunsthandels noch fortführen? Ist die Liebe zur Kunst noch in einer Vorwärtsbewegung begriffen, oder verweist diese Art von Nihilismus schon auf das Ende der Kunstgeschichte? Welche Bedeutung hat die zeitgenössische Kunst ohne Mäzene? Findet der wahre Künstler noch ein offenes Ohr für seine Gesellschaftskritik? Ist die zeitgenössische Kunst nur eine Verbindung zwischen einem intelligenten Absatzmarkt und einer Masse, die einer Gehirnwäsche unterzogen wurde? Steht der Künstler jetzt etwa neben der Bühne und verliert die Kunstwelt dann nicht die historische Form ihrer wohlbekannten Pyramide?
Der Auktionsmarkt zersetzt das Kunstprinzip und verwirft mit seinen Datenbanken die Deutung der Kunstgeschichte. Diese neue Identität der Kunst raubt dem Künstler die Sprache und führt den weltweiten Blick auf die Kunst in die Irre. Doch bleibt die Notwendigkeit bestehen, die Kunst außerhalb aller Grenzen als relevant zu betrachten. Wer sich im Bewusstsein dieser katastrophalen Risse nur für das ihm Vertraute entscheidet, macht sich mitschuldig an der Bedrohung der zeitgenössischen Kunstgeschichte. Welcher Geist wird sich noch freiwillig gegen die Riesen des Kunstkapitals erheben, um Licht in die Finsternis der aktuellen Fehlinterpretationen zu bringen? Soll der Künstler des 21. Jahrhunderts denn glauben, dass derjenige, der mit Zahlen verführt wurde, über mehr Fähigkeiten verfügt, um die Kunst zu verstehen, als derjenige, der nicht oder kaum durch ein derartiges sozialwirtschaftliches System manipuliert wurde? Besteht nicht ein dringendes Bedürfnis nach Schutzmaßnahmen, um das Ende der Kunstgeschichte zu verhindern?
Macht neigt dazu, zu entarten und absolute Macht kann zum absoluten Verderben führen. Wo bleibt das Kontrollmittel, dass uns vor einer sich abwärts bewegenden Spirale der Willkür schützt, die zu Verluderung und zum Verderben führt? Kunst hat eine Funktion und muss sich von der Gesellschaft unterscheiden. Der überschätzte Geschmack der Massen schadet dem Wert der wirklichen Kunst und all ihrer Möglichkeiten. Die Kunst schreit wie nie zuvor nach ihrer Identität und verlangt ein Leben ohne einen Mangel an Freiheit.
Der Künstler, der Händler, der Kunstkritiker, der Auktionator und der Kunstfreund … sie alle sind bedroht und müssen sich vor diesem blinden Wahn hüten!
Die „Fuck Yourself Art” spiegelt die neue Wirklichkeit wider.
Founder John DOE